Mehr Demokratie bei Richterwahlen

    Richter haben in Rechtstaaten sehr viel Macht. Wie Richter allerdings ihre Ämter erlangen, das wissen viele nicht. Es wird kaum darüber gesprochen, geschweige denn berichtet. Im Kanton Solothurn werden die Amtsgerichtspräsidenten faktisch auf Lebzeit gewählt. Einmal im Amt, gibt es praktisch keine Möglichkeit, einen Richter abzuwählen, obwohl eine Amtsperiode laut Verfassung nur vier Jahre beträgt und danach erneuert werden muss. Ein voraussichtlich im Herbst 2017 in den Solothurner Kantonsrat gelangender Volksauftrag will eine Revision dieses Wahlverfahrens. Verlangt wird mehr Demokratie bei den Richterwahlen.

    (Bild: zVg) David Sassan Müller ist Rechtsanwalt und Präsident der SVP Amtei Thal-Gäu

    Dieser Beitrag soll die Rolle der Richter im Staat und verschiedene Aspekte rund um die Bestellung von Richterstellen beleuchten. Kritisch hinterfragt werden soll sodann das Wahlverfahren für Amtsgerichtspräsidenten im Kanton Solothurn. Ein Volksauftrag, der eben dieses Wahlverfahren revidieren will und demnächst vom Kantonsrat behandelt wird, soll kurz vorgestellt werden.

    Rolle der Richter und deren Bestellung
    In einem Rechtstaat wie der Schweiz kommt den Richtern eine enorm wichtige Rolle zu. Richter verfügen über sehr viel Macht. Nicht zu Unrecht wird von der dritten Gewalt im Staat gesprochen. Die richterliche Gewalt (Judikative) steht auf derselben Hierarchiestufe wie das Parlament (Legislative) und die Regierung (Exekutive), wobei diese drei Gewalten voneinander getrennt sind (Prinzip der Gewaltenteilung). Gilt es die letzteren beiden Gewalten zu bestellen, so schauen alle stets sehr genau hin. Der Kampf um Regierungs- und Parlamentsmandate auf allen staatlichen Ebenen – von der Gemeinde über den Kanton bis hin zum Bund – wird zwischen den Parteien oftmals äusserst hart und unter Inkaufnahme grosser finanzieller sowie zeitlicher Aufwendungen ausgetragen. Die Medien berichten exzessiv über solche Wahlen, schon im Vorfeld während dem Wahlkampf. Dadurch wird ein möglichst vielseitiger und sorgfältiger Meinungsbildungsprozess bei den Wählerinnen und Wählern bezweckt; die Parteien und Kandidierenden versuchen den Meinungsbildungsprozess zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen.

    Sehr viel weniger spektakulär verlaufen demgegenüber die Wahlen zur Besetzung von Richtermandaten. Die Medien berichten kaum. Viele Wählerinnen und Wähler sind sich gar nicht wirklich im Klaren darüber, wer denn nun für ein konkretes Richteramt kandidiert und wie das Wahlverfahren genau ausgestaltet ist. Teilweise sprechen sich die Parteien insgeheim ab. Das Parteibüchlein zählt stark bei der Besetzung von Richterstellen, bisweilen sogar mehr als die fachlichen Qualifikationen. Bei Richterwahlen fehlt es deshalb oft an einem für eine echte Wahl notwendigen Meinungsbildungsprozess. Zu einem grossen Teil mag dies wohl mit der für Richter geforderten Unabhängigkeit sowie den oft gegebenen Wählbarkeitsvoraussetzungen zusammenhängen. Letzteres schränkt das Feld von potentiellen Kandidatinnen und Kandidaten stark ein, da oft nur Kandidierende mit einer juristischen Ausbildung in Frage kommen. Insofern lassen sich gewisse Unterschiede zur Besetzung von Parlaments- oder Regierungsmandaten sachlich erklären.

    Nichts desto trotz, muss auch die richterliche Gewalt in einer demokratischen Art und Weise bestellt werden. Einmal gewählt, bedarf es weiterhin demokratischer Kontrollmechanismen. Der Instanzenzug, also die Möglichkeit, einen richterlichen Entscheid an eine höhere Instanz weiter zu ziehen, ist ein solcher Kontrollmechanismus. Leider werden die Hürden dafür – jedenfalls für den Mittelstand – allein schon angesichts der Kostenrisiken laufend höher. Nicht selten werden Richter aufgrund der hier angedeuteten Komplexität denn auch nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt. Das kann – je nach den konkreten Umständen – manchmal Sinn machen.

    Richterwahlen im Kanton Solothurn
    Im Kanton Solothurn werden die Mitglieder des Obergerichts durch das Parlament, also den Kantonsrat, gewählt. Demgegenüber werden die erstinstanzlichen Richter, nämlich die Amtsgerichtspräsidenten und die Amtsrichter, vom Volk innerhalb der jeweiligen Amt­eien gewählt. Laut Verfassung erfolgen alle Wahlen im Kanton Solothurn für eine Amtsperiode, wobei eine Amtsperiode für alle Beamten und Behörden vier Jahre beträgt. Während es für Amtsrichter als Laienrichter keine besonderen Wählbarkeitsvoraussetzungen gibt, gilt für Amtsgerichtspräsidenten als Wahlerfordernis der Besitz eines Anwaltspatents.

    Das solothurnische Gesetz über die politischen Rechte sieht für Erneuerungswahlen nach Ablauf einer Amtsperiode bei Amtsgerichtspräsidenten ein schweizweit wohl einzigartiges Verfahren vor: Liegt nämlich keine Demission vor, so unterbleiben die Ausschreibung sowie die Anmeldung für den ersten Wahlgang der im Majorzverfahren durchgeführten Erneuerungswahl und teilnahmeberechtigt ist einzig der bisherige Stelleninhaber oder die bisherige Stelleninhaberin. Mit anderen Worten ausgedrückt, sind neben dem bisherigen Amtsgerichtspräsidenten gar keine weiteren Kandidatinnen und Kandidaten zur Erneuerungswahl zugelassen. Es gibt noch nicht einmal die Möglichkeit für potentielle Interessenten, ihr Interesse an einer Richterstelle anzumelden. Dem Volk in den Amteien wird als einzig mögliche Wahl der bisherige Stelleninhaber oder die bisherige Stelleninhaberin unterbreitet.

    Zudem wird in den Wahlunterlagen in keinster Weise darauf hingewiesen, welche Möglichkeiten die Wählerinnen und Wähler haben, wenn sie mit dem bisherigen Amtsgerichtspräsidenten nicht zufrieden waren. Im Gegenteil wird auf dem Wahlzettel sogar festgehalten, dass nur der bisherige Amtsgerichtspräsident wählbar sei. Dabei könnte hypothetisch ein zweiter Wahlgang, bei dem Gegenkandidierende zugelassen wären, dadruch erzwungen werden, indem mehr als die Hälfte der effektiv wählenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im ersten Wahlgang leere Wahlzettel einlegen würden. Diese höchst komplizierte Vorgehensweise dem Volk als Wahlorgan zu erklären, ist praktisch jedoch unmöglich. Dies unter anderem auch deshalb, weil in den Wahlunterlagen nirgends auf diese Möglichkeit hingewiesen wird. Einmal im Amt, sind Amtsgerichtspräsidenten deshalb faktisch auf Lebzeit gewählt. Eine Abwahl ist praktisch unmöglich!

    Sinn und Zweck dieses Wahlverfahrens bleiben schleierhaft. Der Regierungsrat spricht von richterlicher Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit der Justiz ist zweifellos ein hohes Gut. Bedeutet dies aber wirklich, dass sich die Richter der demokratischen Kontrolle entziehen sollen? Warum sollen sich Richter bei einer Erneuerungswahl vor dem Volk quasi verstecken? Führt das nicht vielmehr genau zum Gegenteil, indem die Richter zur erstmaligen Ernennung abhängig sind von einer umfangreichen politischen Vernetzung? Und steht das nicht auch im Widerspruch zum Prinzip der Gewaltenteilung, indem die Richter einmal im Amt kaum die Regierung und Verwaltung als ausführende Gewalt kontrollieren, um sich so das Leben nicht unnötig kompliziert zu machen?

    Volksauftrag für «mehr Demokratie bei Richterwahlen»
    Der Autor steht diesem Wahlverfahren höchst skeptisch gegenüber. Es ist schlichtweg sinnlos, eine Erneuerungswahl durchzuführen, wenn das Volk als Wahlorgan gar keine Wahl hat! Gewichtet man die richterliche Unabhängigkeit dermassen hoch, dass demokratische Kontrollmechanismen nach einer Wahl ausgehebelt werden sollen, so soll man den Wählerinnen und Wählern gegenüber doch von Anfang an ehrlich sein und dies klar deklarieren. So wäre es ehrlicher, transparenter und kostengünstiger, wenn man Amtsgerichtspräsidenten offen auf Lebzeit wählen würde. Damit könnten die Kosten für die nutzlosen Erneuerungswahlen alle vier Jahre gespart werden.

    Als noch sinnvoller erachtet es der Autor allerdings, wenn das Wahlverfahren für Amtsgerichtspräsidenten jenem für Amtsrichter gleichgestellt würde. Bei einer Erneuerungswahl für einen Amtsgerichtspräsidenten soll vorgängig eine Ausschreibung und ein Anmeldeverfahren durchgeführt werden. Potentielle Gegenkandidierende, welche über die besondere Wählbarkeitsvoraussetzung – nämlich das Anwaltspatent – verfügen, sollen zur Wahl zugelassen werden. Werden Richter auf diese Wiese turnusgemäss durch das Volk in einer echten und freien Wahl legitimiert, bleiben sie unabhängig, vor allem auch gegenüber der Regierung und der Verwaltung. Mit dem heutigen Wahlverfahren entsteht hingegen schleichend eine Abhängigkeit von der Verwaltung, indem die Richter beispielsweise via Budget und anderen Zielvorgaben von dieser gelenkt werden. Fragwürdig ist die mit aller Macht verteidigte Aufrechterhaltung eines derart undemokratischen Systems ausserdem auch dann, wenn es den etablierten Parteien darum geht, über die Richterabgaben ihre leeren Parteikassen zu füllen. Diese gegenseitige Abhängigkeit vernichtet jegliche gegenseitige Kontrolle bereits im Keime. Erst die regelmässige Bestätigung durch freie Volkswahlen macht starke, unabhängige Richter!

    Genau das verlangt ein anfangs Jahr eingereichter Volksauftrag, der demnächst im Kantonsparlament behandelt wird. Parteipolitisch weht der Idee dieses Volksauftrages jedoch starker Wind entgegen. Schliesslich stammt die Idee aus Kreisen der SVP und auch der Autor dieser Zeilen sowie Mitunterzeichner dieses Volksauftrages gehört der SVP an. Sachliche Gründe für die Beibehaltung des heutigen Wahlsystems wurden bisher nicht dargelegt. Es scheint, als klammern sich die politischen Parteien an ihre Pfründe, sprich an ihre eigenen Richtermandate. Dieses rein egoistische Denken bringt uns in der Sache aber nicht weiter und ist der richterlichen Qualität, Unabhängigkeit sowie dem Prinzip der Gewaltenteilung abkömmlich.

    Die Justiz gehörte bis anhin nicht wirklich zu den wichtigen Traktanden innerhalb der oftmals als Bauernpartei abgestempelten SVP. Zwar ist man in der SVP klar gegen fremde Richter aus dem Ausland. Bei den eigenen Richtern schaute man bisher hingegen kaum hin, was nach hier vertretener Auffassung falsch war. Auch bei der dritten Gewalt im Staat müssen die Strukturen und Verfahren regelmässig verbessert werden. Die demokratische Kontrolle durch die Bevölkerung in allen staatspolitischen Aktivitäten ist die fundamentale Grundlage für unser weitgehend austariertes und funktionierendes Staatssystem sowie den Wohlstand in diesem Land. Wir sollten alles daransetzen, den Staat – inkl. Justiz – nicht ausufern zu lassen. Kontrolle braucht es ebenfalls in der Justiz, weil auch die Richter auf dem Boden der Realität bleiben sollen. Es wäre schön, wenn der Kantonsrat dieses Anliegen würdigt und das Wahlverfahren für Amtsgerichtspräsidenten sinnvoller, demokratischer und zukunftsgerichteter ausgestalten würde.

    David Sassan Müller
    Rechtsanwalt, Niederbuchsiten
    Präsident SVP Amtei Thal-Gäu

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